Samstag, 5. März 2011

Was ist eine Rechtsschule - Madhhab?

Über Rechtsschulen wird viel diskutiert, doch scheint es einige Missverständnisse über dieses Thema zu geben. Daher ist es zunächst sinnvoll zu wissen, was eine Rechtsschule überhaupt ist. Anschließend wäre zu klären, warum es Rechtsschulen gibt und wozu sie dienen. Die Frage, ob man einer Rechtsschule angehören sollte oder nicht, müssen die Gelehrten klären, hierzu werde ich in einem weiteren Artikel die verschiedenen Meinungen der Gelehrten sammeln, in scha Allah.

Was ist eine Rechtsschule?
Eine Rechtsschule (ar. مَذْهَبٌ = Weg) ist eine Methodenlehre zur Urteilsfindung, das heißt eine Methode, wie man mit den islamischen Quellen umgeht und wie man daraus Regeln ableitet. Somit ist der Begriff Rechtsschule eng mit der Wissenschaft des Usul al-Fiqh verbunden.
Die Fatwas einer solchen Schule sind nicht ausschlaggebend für den Charakter einer Madhhab, sondern die Grundlagen, die hinter diesen Fatwas stecken. Daher ist es nicht sinnvoll über Rechtsschulen zu diskutieren, indem man einzelne Fatwas einzelner Vertreter dieser Schulen anführt, sondern indem man sich mit den Prinzipien auseinandersetzt.
Meistens beschäftigen sich diese unterschiedlichen Methoden mit dem Umgang mit Hadithen und den Aussagen der Sahaba und Tabi'un, sowie einigen besonderen Rechtsquellen. Alle Schulen sind sich einig, dass der Qiyas - der Analogieschluss - zulässig und anzuwenden ist. Die Unterschiede beruhen eher darauf, wie man mit schwachen Hadithen umgeht und ob man den Qiyas oder die Fatwas der Sahaba und Tabi'un diesen schwachen Hadithen vorziehen soll.
Somit basieren die meisten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Rechtsschulen auf unterschiedlichen Gewichtungen und Bewertungen einzelner Quellen. Hierzu zwei Beispiele:
1. Der Hund ist bei den Malikiten nicht unrein. Die Malikiten begründen dies folgendermaßen:
a) Es gibt keinen direkten eindeutigen Text, der den Hund für unrein erklärt. Vielmehr beziehen sich die anderen Schulen auf den Hadith aus Buchari und Muslim: "Wenn der Hund aus einem eurer Gefäße trinkt, so wascht es siebenmal aus!", sowie dem allgemeinen Verbot, Raubtiere zu verzehren.
b) Zudem gibt es Hadithe, die verbieten Hunde grundlos zu Hause zu halten. Die Mehrheit der Gelehrten schloss daraus, dass der Hund unrein sein muss. Die Malikiten jedoch meinen, dass dies einzelne Regeln sind.
c) Man muss zwar das Gefäß reinigen, aus dem ein Hund trank, doch muss man nicht das Tier - bzw. die Einbissstelle - reinigen, das ein Jagdhund riss, obwohl ja in beiden Fällen der Speichel des Hundes im Spiel ist. Somit ist laut den Malikiten der Hadith über das Reinigen von Gefäßen ein Sonderfall, der zu befolgen ist, aber nicht mit ähnlichen Fällen verglichen werden kann.
d) Es ist verboten das Fleisch von Raubtieren zu verzehren, doch gilt das lebende Tier nicht als unrein. Das Verbot Hunde im Haus zu halten beweist nicht, dass Hunde unrein sind.

2. Die Hanafiten heben vor und nach dem Ruku' sowie nach dem ersten Taschahhud die Hände nicht. Sie begründen dies damit, dass es zwei Überlieferungen gibt, die eine erwähnt, dass der Prophet (salla Allah alaih wa sallam) dies tat, und die andere, dass er es nicht tat. Die Hanafiten wenden in solchen Fällen die Regel an, dass die Überlieferer vorzuziehen sind, die mehr Wissen über Fiqh hatten. Da die Überlieferer des Hadithes, der besagt nicht die Hände zu heben, bekannter für ihr Wissen über Fiqh waren, ziehen die Hanafiten diese Überlieferung vor und lehnen die andere ab.

Warum gibt es Rechtsschulen?
Die Wurzeln der Rechtsschulen gehen auf die Zeit des Propheten (salla Allah alaih wa sallam) zurück. Er betonte, dass es nicht nur eine richtige Meinung gibt und lehrte seine Gefährten sich eigenständig um die Urteilsfindung zu bemühen.
Ein bekanntes Beispiel ist der Hadith: "Ihr dürft das Nachmittagsgebet erst beten, wenn ihr bei Banu Quraiza angekommen seid.", dies geschah nach der Grabenschlacht, als der Prophet gegen den Stamm Banu Quraiza auszog und dies sagte. Die Gefährten zogen los. Als die Sonne knapp über dem Horizont stand, wollten einige beten, weil sie sagten, die Anordnung des Propheten (salla Allah alaih wa sallam) sei eine Aufforderung zur Eile, doch der Befehl Allahs, das Gebet zu seiner Zeit zu verrichten, muss eingehalten werden. Die anderen meinten, man müsse auf die Worte des Propheten (salla Allah alaih wa sallam) hören und sie genau befolgen. Als sie später beim Propheten (salla Allah alaih wa sallam) ankamen, trugen sie diese Meinungsverschiedenheit vor, er gab beiden Gruppen recht (Buchari 946, 4119, Muslim 1770).
Dieses Beispiel zeigt zwei verschiedene Grundmethoden: Die Befolgung des Wortlauts - eine Methode, die später als Ahl al-Hadith bekannt wurde - und die Anwendung des Qiyas beim Vergleich zweier sich offensichtlich widersprechenden Anweisungen - diese Methode begründete die Schule namens Ahl ar-Ra'i.
Aus diesen zwei Strömungen entstanden die uns heute bekannten vier Rechtsschulen, wobei jede Schule kein reiner Vertreter einer dieser Grundströmungen ist, sondern eine Mischung mit Tendenzen zur einen oder anderen Methode. An der Bestätigung des Propheten (salla Allah alaih wa sallam) kann man erkennen, dass keine Methode der anderen überlegen ist, sondern dass es sich um Grundelemente des menschlichen Denkens handelt und dass immer Menschen zur einen oder anderen Methode neigen. Durch diese Toleranz des Propheten (salla Allah alaih wa sallam) konnte das Fiqh so lange dynamisch bleiben und trotz Meinungsverschiedenheiten eine Spaltung der Muslime verhindern. Erst durch den Fanatismus entstand das Problem, das dazu führte, dass sich Rechtsschulen anfeindeten und sich nicht mehr akzeptierten.

Wozu dienen Rechtsschulen? Spalten sie die Umma?
Die Rechtsschulen selbst sind - wie man am obigen Hadith erkennen kann - keine unnötige Spaltung der muslimischen Gemeinschaft, sondern der Geist des Pluralismus und der Toleranz im Islam, auch wenn es immer Muslime geben wird, die diese Toleranz nicht sehen wollen, weil Menschen eben Menschen sind. Der Fanatismus für und gegen Rechtsschulen ist es, der die Muslime spaltet.
Da eine Rechtsschule eine Methode zur Urteilsfindung ist, wird es immer Rechtsschulen geben, eine Bindung an eine der vier Rechtsschulen ist historisch bedingt, früher gab es mehrere solcher Schulen, die jedoch untergegangen sind, weil sich die heute bekannten viel stärker ausbreiteten. Auch wer die Madhhabs ablehnt, folgt schlussendlich anderen Gelehrten - und somit deren "Rechtsschule", außer er ist ein unabhängiger Mudschtahid.
Ausblick:
In neuen Problemen, die durch Fortschritt und Technik oder andere Kulturen bedingt sind, besteht absolute Einigkeit, dass man sich um ein neues Urteil - also um Idschtihad - bemühen muss. Daher gibt es auch Idschtihad im Fiqh in unserer Zeit.
Doch stellt sich die Frage, ob man in den Ibadat, die ja bekanntlich unveränderlich sind, lieber den Gelehrten folgen sollte, die damals lebten, oder dem Idschtihad zeitgenössischer Gelehrter folgen soll. (Fortsetzung folgt)

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