Sonntag, 24. April 2011

Die Entwicklung der Rechtsschulen

Die Rechtsschulen sind ein zentrales Thema in der Diskussion deutschsprachiger Muslime. Hier soll ein weiterer Aspekt beleuchtet werden: Wie kam es zu den Rechtsschulen? Wie und warum entwickelten sie sich?
Wie bereits erwähnt, lagen die Anfänge in der Zeit des Propheten - salla Allah alaihi wa sallam. Er erzog seine Gefährten dazu, sich selbständig um Urteilsfindung zu bemühen: Als Mu'adh ibn Dschabal in den Jemen geschickt wurde, fragte ihn der Prophet, wie er dort richten und urteilen werde. Er erwähnte zunächst als Quelle den Koran und die Sunna, doch dann fragte ihn der Prophet - salla Allah alaihi wa sallam: "Und wonach dann?", da entgegnete er: "Ich bemühe mich um ein Urteil.", da erwiderte der Prophet - salla Allah alaihi wa sallam: "Lob sei Allah, der den Gesandten des Gesandten Allahs zum Erfolg führte!" (da'îf - schwach) Auch wenn dieser Hadith schwach ist, so entspricht er dem Konsens der Sahaba und späteren Gelehrten und die Sahaba einigten sich nur auf etwas, wenn es den Richtlinien des Koran und der Sunna entsprach. Zudem belegt dies der in einem früheren Artikel erwähnte Hadith von Banu Quraiza und viele andere Hadithe.
Zudem lässt der Islam in vielen Angelegenheiten (z.B: Handelsrecht, Eherecht) einen weiten Spielraum, indem er nur allgemeine Regeln vorgibt und keine Details erwähnt, um den Islam flexibel und für alle Orte und Zeiten anwendbar zu machen. Zum anderen gibt es mehrere Varianten, die der Prophet - salla Allah alaih wa sallam - praktizierte, am bekanntesten ist das Bittgebet des Taschahhud, aber auch andere Details im Gebet, die verschieden überliefert wuren und darauf schließen lassen, dass vieles auch verschieden praktiziert wurde um einen gewissen Spielraum zu lassen.
Zur Zeit der Sahaba (Prophetengefährten) entwickelten sich die ersten Schulen, da einige Gefährten für ihr Wissen bekannt waren und natürlich die eine oder andere Praxis aus der Sunna bevorzugten, oder bei allgemeinen Regeln aufgrund der Gegebenheiten vor Ort unterschiedlich urteilten.
Und hier zeichneten sich bereits erste Tendenzen zu den zwei großen Schulen ab:
Ahl Arra'y, die die Interpretation und Übertragung bevorzugten.
Ahl Al-Hadith, die den Wortlaut der Offenbarungstexte bevorzugten.
Doch bedeutet dies nicht, dass hier zwei Extreme existierten, es waren vielmehr Tendenzen, dass etwa Umar ibn Al-Chattab - radi Allah anh - eher zur Interpretation neigte, aber dennoch in vielem am Wortlaut festhielt, ebenso Abdullah ibn Mas'ud - radi Allah anh.

Nach dieser Periode begann die Zeit der Tabi'un und kurz darauf mit Abu Hanifa die Zeit der vier Imame. Sie selbst verstanden sich nicht als Gründer von Rechtsschulen, sondern sahen sich in der Tradition ihrer Lehrer, deren Schule sie übernahmen. Nur waren diese vier Imame - Abu Hanifa, Malik ibn Anas, Muhammad as-Schafi'i und Ahmad ibn Hanbal - so berühmt und sammelten so viel Wissen, dass ihre Methodologie viele Schüler hatte und die Jahrhunderte überlebte.

Die Imame hatten herausragende Schüler, die das Wissen niederschrieben und verbreiteten, vor allem die Fatwas wurden von den Schülern gesammelt, da die Imame selbst dies nicht wollten, weil sie ihre Meinung nicht als bindend ansahen.

Die Schüler fügten viele Meinungen hinzu, die Rechtsschulen hatten sich noch nicht geformt und der Idschtihad war noch offen. Doch bereits nach kurzer Zeit begann man den Idschtihad auf diese Schulen zu beschränken. Andere Schulen, wie die von al-Awza'i und al-Laith ibn Sa'd etwa, wurden von den vier bekannten Schulen verdrängt, teils wegen der großen Ähnlichkeit, teils wegen der schwindenden Zahl an Anhängern.

Die Epoche der Sammlung
Ab etwa dem 3. bzw. 4. Jahrhundert der Hidschra begann die gründliche Erforschung der vier Rechtsschulen, die Sammlung aller Fatwas und die Erforschung der Methodologie (Usul) jeder Schule. Der Idschtihad begann sich allmählich auf den Idschtihad innerhalb einer dieser Schulen zu beschränken, die letzte selbständige Schule von at-Tabari fällt noch in diese Zeit.

Die Epoche der Auswertung
Ab dem 4. bzw. 5. Jh. n. H. begann die absolute Beschränkung auf die vier Rechtsschulen, die nun alle anderen Schulen verdrängt hatten. Es gab die Gegenbewegung der Zahiriten, die nach Dawud az-Zahiri eine neue Schule gründeten, die den Qiyas ablehnte und extrem am Wortlaut der Offenbarungstexte festhielt, doch konnte sie sich nicht durchsetzen.
In diese Zeit fallen die großen Werke, die versuchten alle vorigen Bücher und die darin enthaltenen Meinungen zu vergleichen und auszuwerten, um eine gängige Richtlinie für die jeweilige Schule zu erarbeiten. Diese Werke sind bis heute die Standardwerke der Rechtsschulen und schlossen somit weitgehend den Idschtihad innerhalb der Rechtsschulen ab. Mit dem 7. Jh. war dieser Prozess abgeschlossen und es begann die nächste Epoche:

Die Epoche der Erstarrung
Ab dieser Epoche wurden nur vergangene Werke kommentiert, in Lerngedichten zusammengefasst oder Glossen verfasst. Die vorigen Gelehrten hatten in diesen 600 Jahren alle möglichen Themenbereiche des Fiqh so gründlich erforscht, so dass man sich ausschließlich auf Fatwas in neuen Problemen konzentrierte und sich dabei auf die großen Werke der vorigen Epochen stützte. Oft griffen die Muftis nur auf die Bücher der eigenen Rechtsschule zurück, oder auf mehrere Schulen, aber sie leiteten nicht mehr direkt aus Koran und Sunna Urteile ab.

Die Epoche der Renaissance
Seit dem 19./20. Jh. begannen neue Versuche, den Idschtihad zu beleben und direkt auf Koran und Sunna zurückzugreifen. Leider wurde bei dieser Bewegung oft die Meinung der Rechtsschulen in den Wind geschlagen und man war der Meinung, die Authentizität der Quelle sei das alleinige Kriterum für die Gültigkeit und Richtigkeit einer Meinung. Neuere Tendenzen zeigen jedoch eine allmähliche Rückkehr zum Studium der Rechtsschulen.

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